09.09.12: Das „weiße Kreuz“
Wer am Ende der St.-Michael-Straße auf dem Langgewannweg in westlicher Richtung geradeaus weitergeht, gelangt nach etwa 540 m zu einem Feldkreuz, das im Volksmund „Weißes Kreuz“ genannt wird. Es steht auf der linken Seite des Feldwegs auf einem kleinen mit Steinplatten eingefassten und mit Blumen bepflanzten Platz zwischen zwei Schatten spendenden Nussbäumen. Vor dem Kreuz lädt eine Bank zum Verweilen ein.
Ursprünglich stand das „weiße Kreuz“ an einer anderen Stelle. In dem vom Bischof von Speyer Kardinal Damian Hugo von Schönborn angeforderten und von der politischen Gemeinde angefertigten Verzeichnis der auf der Rauenberger Gemarkung stehenden Kapellen und Kreuze aus dem Jahr 1743 wird der ursprüngliche Ort des Feldkreuzes, der Stifter und der Zweck der Stiftung genannt. Dort heißt es: „Ein Creutz von Stein außgehauen Stehet mitten im weinberg oben an der jungen Keill auf einem Kreutzweeg der Stifter Petter Leyer seel. hat solges zu obiger Intention aufrichten lassen Hat keine Stiftung“. Der angegebene Standort des Kreuzes kann auf Grund eines erhaltenen Flurnamensverzeichnisses und von 1776 und eines Gemarkungsplanes von 1778 und auf dem „Übersichts-Plan der Gemarkungen Rauenberg, Malschenberg und Rotenberg“ von 1955 genau identifiziert werden. Hier wird die noch vorhandene Wegkreuzung im Uhrzeigersinn von von den vier Gewannen „Steinbügel“, „Keil“,wo das Kreuz im Weinberg des Peter Layer stand, „Viehweg“ und „Kälbelsgrund“ umschlossen. Der Sifter des Feldkreuzes war also Peter Leyer. Er war Landwirt und lebte von 1653 bis 1736. Er war verheiratet mit Eva Margarete geb. Fischer. Die Ehe blieb kinderlos. Nach der Jahreszahl im Sockel stiftete er das Feldkreuz 1714 im Alter von 61 Jahren. Die Formulierung „der Stifter Petter Leyer seel. Hat solges zu obiger Intention aufrichten lassen“ bedeutet, dass Peter Leyer das Kreuz zu dem Zweck gestiftet hat, dass bei den Flurprozessionen am Tag der Kreuzfindung, das ist der 3. Mai, und am Hagelfeiertag jeweils hier Station gemacht und ein Evangelium gesungen werden sollte. Die Hagelfeier oder Schauerfeier war ein Bittgottesdienst und eine Flurprozession am 26. Juni, dem Tag der „Wetterherren“ Johannes und Paul, zum Schutz der Felder und Weinberge vor Hagelschlag. Diese Zweckbestimmung bezog sich auf alle vier Stationen der jährlichen Flurprozessionen. Der Vermerk am Schluss des Textes „Hat keine Stiftung“ meint, dass außer den Kosten für die Errichtung des Feldkreuzes kein weiterer Betrag gestiftet worden ist.
Flurkreuze haben neben der religiösen Funktion noch eine weitere Funktion. Sie sind nämlich für die Bevölkerung auch noch ein markanter Orientierungspunkt in der Gemarkung. Wenn es mehrere Flurkreuze auf der Gemarkung gab, wurden sie meistens im Laufe der Zeit zur Unterscheidung mit Namen versehen. Auf der Rauenberger Gemarkung gab es außerhalb des Ortsetters seit 1763 zwei steinerne Flurkreuze: das von Peter Leyer 1714 gestiftete Flurkreuz und das von Jakob Weisskapp und seiner Ehefrau Maria Catharina geb. Greulich 1763 gestiftete Flurkreuz, das am Sträßel im Gewann Zinsäcker steht. Um nun diese beiden steinernen Flurkreuze zu unterscheiden, gab der Volksmund ihnen einen Namen. Da das von Peter Leyer gestiftete Flurkreuz aus hellbraunem Sandstein mit rotbraunen Einschlüssen hergestellt worden ist, bekam es wegen seiner hellen Farbe den Namen „weißes Kreuz“. Das von Jakob Weisskapp und seiner Ehefrau Maria Catharina gestiftete Flurkreuz ist aus einem dunklerem rötlichen Sandstein gefertigt worden und wurde daher als Gegensatz zum „weißen Kreuz“ „schwarzes Kreuz“ genannt.
Fast 290 Jahre sind inzwischen vergangen, in denen das „weiße Kreuz“in der Rauenberger Flur stand und Wind und Wetter ausgesetzt war. Von Schäden und Restaurierungen im 18. und 19. Jahrhundert ist keine Nachricht überliefert worden. Ein Hinweis auf einen Schaden im 20. Jahrhundert befindet sich auf dem Sockel des Kreuzes. Dort ist auf der Oberseite „19 FH 32“ eingemeißelt, was bedeutet, dass ein Steinmetz mit den Initialen F. H. 1932 Restaurierungsarbeiten an dem Flurkreuz durchgeführt hat. Während des Zweiten Weltkrieges entstand ein Schaden am Korpus des Kreuzes. Durch Beschuss ist ein Arm beschädigt worden und abgefallen, der später stilgerecht restauriert wurde. Als in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die jährlichen Flurprozessionen das „weiße Kreuz“ nicht mehr einbezogen, verlor das Flurkreuz seine wichtigste Funktion, als zweite Station bei den Flurprozessionen zu dienen. Die Flurprozessionen verliefen damals auf einem verkürzten Weg. Von der Kirche ging es auf der Wieslocher Straße, der Roter Straße (heute Malschenberger Straße) und auf dem Viehweg bis zum Gewann „Steinklamm“. Dort bog der Prozessionsweg rechts ab in einen Hohlweg, der zum Langgwannweg hinunterführte. Auf dem Langgewannweg, der St.-Michael-Straße und der Wieslocher Straße ging es wieder zur Kirche zurück. Auf die Initiative von Pfarrer Hermann Neuhäuser, dessen Amtszeit in Rauenberg von 1951 bis 1961 dauerte, wurde das „weiße Kreuz“ Ende der fünfziger Jahre von seinem ursprünglichen Standort im Gewann „Keil“ an seinen jetzigen Standort am Langgewannweg im Gewann „Steinklamm“ versetzt, wo es wieder als Station bei den Flurprozessionen diente und seitdem auch als Station bei der jährlichen Wallfahrt nach Waghäusel dient. Als in den folgenden fünfzig Jahren die Witterung und die Schadstoffe in der Luft dem Flurkreuz und ganz besonders dem oberen Teil mit dem Kruzifix stark zusetzten, hat sich auf die Initiative von Bürgermeister Frank Broghammer die Stadt Rauenberg 2003 entschlossen, das „weiße Kreuz“ vor dem vollständigen Verfall zu retten. Ein polnischer Bildhauer wurde beauftragt, von dem oberen Teil des Flurkreuzes eine originalgetreue Kopie aus Maulbronner Sandstein anzufertigen, die nach ihrer Fertigstellung mit den übrigen restaurierten Teilen des Flurkreuzes am jetzigen Standort am Langgewannweg aufgestellt wurde. Am Palmsonntag 2006 wurde die Nachbildung des „weißen Kreuzes“ geweiht. In einer feierlichen Prozession zog eine große Schar von Gläubigen angeführt von der Musikkapelle Rauenberg von der Kirche St. Peter und Paul zum Standort des „weißen Kreuzes“. Dort nahm Pfarrer Harald-M. Maiba in einer Einweihungsfeier die Segnung der Kopie des „weißen Kreuzes“vor. Bürgermeister Frank Broghammer sprach über die fast dreijährige Planungs- und Restaurierungszeit und über die Finanzierung des Projekts. Dr. Dieter Wagner, der Vorsitzende des Vereins „Freunde der Kunst und der Heimatgeschichte Weinstadt Rauenberg e. V.“ ging in seiner Ansprache auf die Geschichte des „weißen Kreuzes“ ein. Der originale obere Teil des Flurkreuzes wurde nicht restauriert, sondern in seinem damaligen Zustand lediglich durch eine Schutzschicht konserviert und 2005 in der alten Rauenberger Leichenhalle als fast 300 Jahre altes sakrales Kunstwerk untergebracht und somit vor den Einflüssen der Witterung gesichert. An der Finanzierung der Kosten des Projekts beteiligten sich zum größten Teil die Stadt Rauenberg, dann der Förderverein der Kirche St. Peter und Paul, die Bastelgruppe der katholischen Frauengemeinschaft, die Interessengemeinschaft Winzermuseum Rauenberg e. V., die „Freunde der Kunst und der Heimatgeschichte Weinstadt Rauenberg e. V.“ und der Ehrenbürger Dr. Hans-Dietrich Henschel.
Das aus hellbraunem Sandstein mit rotbraunen Einschlüssen hergestellte barocke Flurkreuz besteht aus mehreren Teilen. Der obere Teil mit dem Korpus des gekreuzigten Christus ist sowohl beim Original als auch bei der Kopie aus Heilbronner Sandstein aus einem einzigen Steinblock herausgemeißelt worden. Der 20 cm breite und 16 cm starke Längsbalken des oberen Teils hat eine Höhe von 145 cm. Der Querbalken, auf dem das 45 cm hohe Endstück des Längsbalken mit der Kreuzesinschrift steht, hat eine Länge von 116 cm. Diese beiden oberen Teile des Flurkreuzes werden von einem 27 cm breiten und 24 cm starken und 220 cm hohen Kreuzesstamm getragen, der auf einem 113 cm hohen mit Basis und Kapitell versehenen quadratischen Sockel ruht, der aus drei Teilen zusammengesetzt ist. Seine Seitenlänge beträgt in der Mitte 58 cm und auf der Oberseite 85 cm. Damit hat das Flurkreuz eine stattliche Höhe von 5,23 m. Auf der Vorderseite des Sockels befindet sich weder ein bei Flurkreuzen üblicher frommer Spruch noch der Name des Stifters, sondern nur die Jahreszahl 1714 der Errichtung. Wegen seiner Höhe von über 5 Metern kann das Flurkreuz als Hochkreuz bezeichnet werden. Diese Höhe erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass das Flurkreuz ursprünglich in einem Weinberg an einer Wegkreuzung stand und weithin sichtbar über den Rebstöcken hervorragen sollte.
Dr. Dieter Wagner
Patenschaft für das „Weiße Kreuz “
Ursula Fien verschenkte schon vor vielen Jahren ihr Herz an dieses Feldkreuz. Sie kümmert sich um die jahreszeitliche Bepflanzung und um die Pflege der Kreuzanlage. Der Erhalt unseres Kirchenschatzes ist bei ihr in den besten Händen und wir können auch in Zukunft eine kleine Ruhepause an diesem wunderschönen Ort mitten in den Weinbergen und Feldern nehmen.
Ein herzliches „Vergelt's Gott“ liebe Ursel Fien für die übernommene Patenschaft des „Weißen Kreuzes“.
Wir wünschen Ihnen eine frohe und gesegnete neue Woche
Ihr Förderverein Kirche