09.02.12: Das Bildstöckel
Wenn man nach der St.-Anna-Kapelle den Weg nach links in die Weinberge abbiegt und in Richtung Lourdeskapelle geht, gelangt man auf halbem Weg zu einem Bildstock, der eingerahmt von einem Rosenstock am Wegesrand steht und von den Rauenbergern liebevoll „Bildstöckel“ genannt wird.
Ursprünglich stand das Bildstöckel nicht hier umgeben von Weinbergen, sondern drunten im Dorf, wie aus einem Verzeichnis der auf der Rauenberger Gemarkung vorhandenen Kapellen und Kreuze aus dem Jahr 1743 hervorgeht. Dort heißt es: „Ein bildstock von Stein außgehauen Stehet oben im dorff auf dem Kreutzweeg der Stifter Conrat bender seel(ig) Hat solgen zu der Intention aufgericht weillen an Corpus Xrti (=Christi) alljärlich ein h(eiliges) Evang(elium) abgesungen wirt hat Keine Stiftung“. Der erwähnte Standort des Bildstocks „oben im dorff auf dem Kreutzweeg“ ist die heutige Ecke Wieslocher Straße/Malschenberger Straße, an der jetzt das Gasthaus „Zur Linde“ steht. Als Stifter des 1698 errichteten Bildstocks wird „Conrat bender seel(ig)“ (auf dem Bildstock in der Schreibweise „KONRAT BINTER“) genannt, über den es sonst keine Nachricht gibt. Die Zweckbestimmung „der Stifter Conrat bender seel(ig) Hat solgen zu der Intention aufgericht weillen an Corpus Xrti alljärlich ein h(eiliges) Evang(elium) abgesungen wirt“ bedeutet, dass alljährlich am Fronleichnamsfest hier eine Station der Fronleichnamsprozession gemacht wird. Diese Zweckbestimmung des gestifteten Bildstocks wird auch bei dem Steinkreuz an der Zehntscheuer (heute Ecke Hauptstraße/ Landfriedtraße) genannt und gilt auch für das Steinkreuz an der Bachbrücke und das Holzkreuz bei der Kirche. Der Vermerk am Schluss „hat Keine Stiftung“ meint, dass außer den Kosten für die Errichtung des Bildstocks kein weiterer Geldbetrag zur künftigen Unterhaltung gestiftet worden ist.
Da der Zweck der Stiftung, der bei dem Bildstock genannt wird, nämlich als Station bei der Fronleichnamsprozession zu dienen, auch für die anderen drei Kreuze im Dorfe gilt, lässt sich der Verlauf der jährlichen Fronleichnamsprozession in Rauenberg seit dem 17. Jahrhundert feststellen. Das Fronleichnamsfest, von der katholischen Kirche „Festum Sanctissimi Corporis Christi“ genannt, ein Fest zur Verehrung der Eucharisti am Donnerstag nach dem ersten Sonntag nach Pfingsten, entstand im Spätmittelalter und wurde 1264 von Papst Urban IV. für die ganze Kirche vorgeschrieben. Der Höhepunkt dieses Festes ist die Fronleichnamsprozession, in der seit Mitte des 14. Jahrhunderts das Allerheiligste, meist sichtbar in der Monstranz, durch die Straßen getragen wird. An vier Stationen, an denen Altäre aufgestellt sind, werden Abschnitte aus den vier Evangelien gesungen, eine Oration gebetet und der Segen mit der Monstranz erteilt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Fronleichnamsprozession zu einer prunkvollen Prozession. An ihr sind alle Stände und Altersklassen, die Zünfte und Bruderschaften in entsprechender Rangordnung und Kleidung beteiligt. Musik und Gesang, Fahnen und Heiligenfiguren und die Ausschmückung des Prozessionsweges und der vier Stationen mit Blumen, Gräsern und Sträuchern geben der Prozession einen feierlichen Charakter. Die Fronleichnamsprozession in Rauenberg hat seit dem 17. Jahrhundert traditionell folgenden Weg genommen: Auszug aus der Kirche, die damals auf dem Platz stand, auf dem sich das heutige Pfarrzentrum befindet, Stationen am Bildstock an der Straßenkreuzung, am Steinkreuz an der Zehntscheuer, am Steinkreuz bei der Bachbrücke, am Holzkreuz vor der Kirche und Abschluss in der Kirche.
Der Bildstock, der seit 1698 an der heutigen Ecke Wieslocher Straße/Malschenberger Straße stand, diente dort also über 160 Jahre als eine der vier Stationen der jährlichen Fronleichnamsprozession. Im Jahre 1859 ist er durch ein großes Steinkreuz ersetzt worden, das von den Familien Paul und Elisabetha Knab, F. Joseph und Elisabetha Laier und Jacob und Franziska Laier gestiftet wurde. Als 1910 der Standort dieses Steinkreuzes für den Neubau des Gasthauses „Zur Linde“ benötigt wurde, ist es auf die gegenüberliegende Straßenseite (heute Ecke Malschenberger Straße/Rotenberger Straße) versetzt worden, wo es heute noch steht. Der nun nicht mehr benötigte Bildstock wurde nach 1859 an den jetzigen Standort mitten in den Weinbergen im Gewann „Steinsatzbild“ versetzt und diente seitdem als Station bei den Flurprozessionen. Da das alte Wegenetz in den Weinbergen im Zuge der Flurbereinigung zu Beginn der 1960er Jahre verändert worden ist, steht der Bildstock jetzt schräg zum heutigen Weg. Das Gewann, das 1963 beim Bildstock neu gebildet wurde, ist nach ihm „Bildstöckel“ benannt worden.
Um den Bildstock, nachdem er fast 300 Jahre lang Wind und Wetter ausgesetzt war, vor dem Verfall zu retten, ließ ihn die Stadt Rauenberg 1992 von dem Rauenberger Steinmetz Karl Steidel restaurieren. Das Ergebnis der Restaurierung war so hervorragend, dass sich die Stadt entschlossen hat, den Bildstock nicht wiederum der Witterung und den
Schadstoffen in der Luft auszusetzen, sondern ihn jetzt im Winzermuseum aufzustellen. Danach ließ die Stadt eine Kopie des restaurierten Bildstocks anfertigen und im Mai 1997 am alten Standort und mit der alten Blickrichtung aufstellen. An der Finanzierung der Restaurierung und der Anfertigung der Kopie beteiligten sich zum größten Teil die Stadt Rauenberg, daneben der Verein „Freunde der Kunst und der Heimatgeschichte Weinstadt Rauenberg“, das Winzermuseum und die Gesellschaft zur Erhaltung und Erforschung der Kleindenkmale in Baden-Württemberg. 1999 wurde am Vorabend von Christi Himmelfahrt die Kopie des restaurierten Bildstocks von Pfarrer Harald M. Maiba feierlich eingeweiht. Gleich drei Rauenberger Vereine nahmen gestaltend an der Einweihungsfeier mitten in den Weinbergen teil. Der katholische Kirchenchor umrahmte unter der Leitung von Vizedirigent Rudi Menges die Feier durch Liedvorträge, die katholische Frauengemeinschaft trug Lesungen vor und Dr. Dieter Wagner von den „Freunden der Kunst und der Heimatgeschichte Weinstadt Rauenberg“ hielt einen Vortrag über die Geschichte, die kunsthistorische Bedeutung und die Inschrift des Bildstocks.
(Fortsetzung folgt)
Dr. Dieter Wagner
19.02.12: Das Bildstöckel - Fortsetzung
Das Flachrelief des in der Barockzeit entstandenen Bildstocks ist aus einer 11 cm starken Sandsteinplatte herausgearbeitet und hat in seiner größten Ausdehnung eine Höhe von 91 cm und eine Breite von 54 cm. Eine etwa in der Mitte mit einem Wulst verstärkte steinerne Säule, die eine Höhe von 166 cm aufweist, trägt die Steinplatte. Der quadratische Steinsockel, auf dem die Säule steht, hat eine Seitenlänge von 70 cm und ragt 25 cm aus dem Erdboden. Das Relief zeigt eine Kreuzigungsgruppe mit dem Kruzifix in der Mitte. Der gekreuzigte Christus, dessen Körperproportionen nicht ganz stimmen, neigt sein mit Dornen gekröntes Haupt leicht nach rechts. Der Schurz, der auf der rechten Körperseite geknotet ist, endet mit einem Bausch. Das Kreuz ist mit der oben am Längsbalken angehefteten Inschrifttafel steht auf einem Totenschädel mit zwei darunter gekreuzten Knochen, der auf den durch Christus überwundenen Tod hinweist. Unter dem Kreuz steht zur Rechten des gekreuzigten Christus seine Mutter Maria und zur Linken der Lieblingsjünger Johannes. Beide sind mit einem reichgefalteten langen Gewand bekleidet, das von einem Gürtel zusammengehalten wird. Maria trägt als Kopfbedeckung einen langen bauschigen Schleier, Johannes einen langen Umhang um seine Schultern, dessen Ende um den linken Unterarm geschlagen ist. Ihre Hände sind gefaltet zur Anbetung des gekreuzigten Christus, dem sie ihre nach oben gerichteten Gesichter zuwenden. Zwei Symbole heben die Heiligkeit von Maria und Johannes hervor: beide tragen einen Heiligenschein über ihrem Kopf und beide stehen jeweils auf einem Engelskopf mit Flügeln. Die Kreuzigungsgruppe wird eingerahmt von zwei Pilastern, in deren Schäften jeweils zwei Kanneluren eingemeißelt sind. Darüber wölbt sich ein flacher Bogen, auf dessen Oberseite ein 15 cm hohes Kleeblattkreuz steht. Die Unterseite des Bogens ist mit einem Kugelmuster und einem dahinterliegenden Zickzackmuster verziert. Die beiden Pilaster ruhen auf Voluten, welche die wiederum von Voluten herzförmig eingerahmte Stiftungsformel umgeben. Die beiden Schmalseiten des Bildstocks sind rechts und links jeweils mit einem eingerahmten Blattmuster und einem stilisierten Zweig verziert. Kunsthistorisch betrachtet ist das Rauenberger Bildstöckel ein schlichtes Werk heimischer Volkskunst. Das hohe Alter des Bildstocks – er ist jetzt schon über 310 Jahre alt – macht ihn für Rauenberg historisch wertvoll. Er ist nämlich das älteste christliche Kulturdenkmal auf Rauenberger Gemarkung.
Die Inschrift auf dem Bildstock ist aus mehreren Gründen nicht leicht lesbar. Sie besteht aus lateinischen Großbuchstaben, die einige Besonderheiten aufweisen und daher beim Lesen erhebliche Schwierigkeiten bereiten: das E ähnelt dem G, das U wird auch wie V geschrieben, das N hat einen umgekehrten Schrägstrich, das T bedeutet auch D, benachbarte Buchstaben werden manchmal zu einer Ligatur zusammengezogen. Die Stiftungsformel lautet: KONRAT BINTER / GOT ZU ER / 1698, was „Konrad Binder / Gott zu Ehr / 1698“ bedeutet. Die Inschrift auf dem Kreuzbalken ist fehlerhaft. Es steht dort INRA statt INRI. Der Steinmetz hatte den Auftrag, zur Darstellung der Kreuzigungsgruppe noch einen Spruch in den Bildstock einzumeißeln. Der ihm vorgelegte Spruch stammt aus den Klageliedern des Jeremias 1, 12 im Alten Testament. Er lautete in einer zeitgenössischen Übersetzung: „O ihr alle, die ihr auf dem Wege vorüber gehet, merket doch und sehet, ob auch ein Schmerz sei wie mein Schmerz“. Dieser Spruch bezieht sich auf den Schmerz Jerusalems und seiner Bewohner über den Untergang der Stadt und des Tempels im Jahre 586 v. Chr. Da die Bedeutung des alttestamentlichen Tempels im Neuen Testament auf Christus übertragen wird, werden von der Kirche in der
Liturgie der Karwoche die Klagelieder des Alten Testaments auf das Leiden und Sterben Christi angewendet. So wird in der Kreuzweg-Andacht in der 13. Station, wo es heißt: Jesus wird von Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner jungfräulichen Mutter gelegt, dieser Spruch der Klagelieder der Mutter Maria in ihrem übergroßen Schmerz in den Mund gelegt. In diesem Sinn ist der Spruch auf dem Bildstock zu verstehen. Maria richtet ihre Worte an alle, an der auf dem Bildstock dargestellten Kreuzigung Christi vorbeikommen.
Da der Steinmetz den langen Spruch nicht vollständig auf dem Bogen über der Kreuzigungsgruppe unterbringen konnte, hat er, um Platz zu sparen, keine Wortzwischenräume gelassen, bei einzelnen Wörtern die Endungen weggelassen und schließlich in seiner Not den Rest des Spruchs auf dem kleinen Kleeblattkreuz über dem Bogen fast nur mit abgekürzten Wörtern und Ligaturen eingemeißelt. Bei der Restaurierung des Bildstocks im Jahr 1992 hat sich folgender Text ergeben, in den sich einige Fehler eingeschlichen haben, da dem Restaurator der Spruch nicht bekannt war:
O IER ALE TIE TEN WEG FURUBE GEH MECKE TOCK UNT SEH / OB AUCH EN HMX / WI / ME SCHMZ. Richtig muss der eingemeißelte Text heißen: O IER ALE TIE TEN WEG FURUBE GEH MERKE TOCH UNT SEH / OB / AUCH EN SCHMZ / WI / ME / SCHMZ.
Dr. Dieter Wagner
Pflege und Unterhalt des „Bildstöckels“.
Zur Herzensangelegt wurde das älteste christliche Kulturdenkmal auf Rauenberger Gemarkung besonders für den damaligen Bürgermeister und den Stadträten und Stadträtinnen, für die Freunde der Kunst- und Heimatgeschichte, genauso wie für das Winzermuseum Rauenberg oder der Gesellschaft zur Erhaltung und Erforschung der Kleindenkmale in Baden-Württemberg.
Doch selbstverständlich ist es auch für die angrenzenden Winzer am „Bildstöckel“ eine Herzensangelegenheit das Feldkreuz zu erhalten.
Für alle Helfer und Freunde des Wegkreuz Bildstöckels - Ein herzliches Dankeschön und „ Vergelt`s Gott“ sie erhalten ein Stück Familiengeschichte aus Rauenberg für die Zukunft.
Tipp der Woche:
Für Ihren Spaziergang können wir Ihnen die Route: – St. Anna Kapelle – „Bildstöckel“ bis zur „Lourdesgrotte“ empfehlen. Bei schönem Wetter können Sie den unvergleichlichen Weitblick in die Rheinebene genießen.
Bei unserer Wanderung durch die südlichen Rauenberger Weinberge kommen wir zum nächsten Halt am Feldkreuz „Weißes Kreuz“.
Freuen Sie sich mit uns auf die nächste Vorstellung dieses Wegkreuzes.
Ihr Förderverein Kirche St. Peter u. Paul Rauenberg